Dienstag, 13. Mai 2014

Angekündigter Doppelbeschluss: Die Rente mit 63 soll mit der Arbeitslosigkeit bis 61 fusioniert werden

In der Großen Koalition wird gerungen und gestritten um die Konkretisierung der Rente mit 63 hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen. Nunmehr gibt es nach Medienberichten angeblich eine Lösung der in den vergangenen Wochen viel diskutierten - angeblich - drohenden "Frühverrentungswelle" ab 61. Den "rollierenden Stichtag" werden wir uns merken müssen.

Karl Doemens berichtet in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau: Einigung bei Rente mit 63 steht bevor. Im Rücken des derzeit stattfindenden DGB-Bundeskongresses soll es angeblich eine Verständigung gegeben haben auf eine Operationalisierung der Bedingungen, unter denen man den abschlagsfreien Renteneintritt mit 63 vollziehen kann. Mit einem "rollierenden Stichtag" sollen Arbeitslosigkeitszeiten bei der Rente mit 63 nur bis zwei Jahre vor dem Beginn des Ruhestands angerechnet werden können.

Grundsätzlich gilt als Anspruchsvoraussetzung: 45 Beitragsjahre, wobei hier Bezugszeiten des früheren Arbeitslosengeldes und des heutigen Arbeitslosengeldes I, also der Versicherungsleistung, ohne zeitliche Begrenzungen angerechnet werden können, nicht aber Zeiten der Arbeitslosenhilfe bzw. seit 2005 des Arbeitslosengeldes II. An dieser Stelle setzt die in den vergangenen Wochen immer wieder vorgetragene Kritik aus den Reihen der Union und der Arbeitgeber an, die behaupten, es gibt dadurch einen »Anreiz für Frühverrentungspakete, die dem Arbeitnehmer die Einbußen durch eine zuvor bewusst herbeigeführte Arbeitslosigkeit ersetzen. Faktisch könnten  die Beschäftigten in Deutschland dann trotz stetig steigender Lebenserwartung schon mit 61 Jahren den Betrieb verlassen und aufs Altenteil wechseln.«

Es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass diese und ähnliche Argumentationen schon recht einseitig daherkommen, um das mal vorsichtig auszudrücken. Denn hier wurde und wird ein Bild gemalt, das so aussieht: Der Arbeitnehmer kann es gar nicht erwarten, in den Ruhestand zu kommen (was in nicht wenigen Fällen angesichts der konkreten Arbeitsplätze vielleicht sogar durchaus der Fall sein könnte) und wenn er durch den Eintritt in die Arbeitslosigkeit mit 61 zwei Jahre lang die Möglichkeit hat, das Arbeitslosengeld I zu beziehen, dann wird er das freudig machen, um dann mit 63 in die abschlagsfreie Rente zu wechseln. Das ist gelinde gesagt eine "mutige" Hypothese, wenn man bedenkt, dass das Arbeitslosengeld I als Lohnersatzleistung deutlich niedriger liegt als das bisherige Einkommen und zudem die späteren Rentenansprüche natürlich auch noch niedriger ausfallen werden durch die Arbeitslosigkeitszeiten. Darüber hinaus gibt es solche "Kleinigkeiten" wie Sperrzeiten bei Eigenkündigung. Um nur eine Hürde zu nennen. Folglich kommen wir zum eigentlichen Kern der Sache: Eine "Frühverrentungswelle" kann man im Grunde nur dann erwarten, wenn die Unternehmen da mitmachen bzw. das instrumentalisieren für ihr Anliegen, sich von älteren Mitarbeitern zu trennen,  beispielsweise in dem sie die Arbeitslosengeld I-Zahlungen aufstocken. Zugespitzt formuliert: Eigentlich warnen die Arbeitgeber vor sich selbst bei dieser Diskussion - die übrigens seitens der Experten bei einer kürzlich stattgefunden Anhörung im Deutschen Bundestag überwiegend als nicht besonders gewichtig eingeschätzt wurde. Aber irgendwie hat sich das verselbständigt.

Ursprünglich wollte die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Arbeitgeber in solchen Fällen zur  Erstattung der Sozialleistungen verpflichten - eine solche Regelung hat es schon mal bis 2006 gegeben, sie wurde dann aufgrund von Praktikabilitätsproblemen wie auch aufgrund von rechtlichen Bedenken wieder abgeschafft und auch bei der erwähnten Anhörung im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages hatten die dort vertretenen Experten überwiegend vor einer solchen bürokratischen Regelung gewarnt, die zudem weitgehend ins Leere laufen würde.

Aber auch die ursprüngliche Lösung aus der Union wird nicht kommen: »Nach ihrer Vorstellung sollten Arbeitslosenzeiten ab dem 1. Juli 2014 generell nicht mehr angerechnet werden. Das würde aber zu einer rechtlich fragwürdigen Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die bereits in diesem Sommer in Rente gehen und solchen, die erst später die Altersgrenze erreichen, führen«, schreibt Doemens in seinem Artikel.

Jetzt also soll es den "rollierenden Stichtag" als Kompromiss geben:

»Er orientiert sich am tatsächlichen Renteneintrittsalter des Betroffenen. Nur bis zwei Jahre davor werden eventuelle Arbeitslosenzeiten angerechnet. Wer am 1. Juli 2014 den abschlagfreien Ruhestand in Anspruch nehmen will, der muss also 45 Beitragsjahre nachweisen, deren eventuelle Arbeitslosenzeiten aber vor dem 1. Juli 2012 lagen. Damit wäre eine Frühverrentung mit 61 Jahren ausgeschlossen.«

Nur eine skeptische Anmerkung: In den vergangenen Monaten wurde von beiden Seiten - den Apologeten wie den Weltuntergangskritikern der Rente mit 63 immer wieder mit "Gerechtigkeit" bzw. "Ungerechtigkeit" argumentiert. Das aber sind schwere und zugleich flüchtige Begriffe. Bleiben wir bei der vorgesehenen rollierenden Stichtagsregelung. In dem Beitrag von Doemens findet sich ein interessanter Hinweis: »Diskutiert wird in der Koalition noch, ob es eine Ausnahmeregelung für Fälle geben soll, bei denen der Betrieb in dem fraglichen Zeitraum Pleite machte.«

Das verweist auf ein potenziell neues, erhebliches "Gerechtigkeitsproblem", denn ein solcher Fall würde ja bedeuten, dass der betroffene ältere Arbeitnehmer unfreiwillig seinen Arbeitsplatz verliert und er dann nicht in den Genuss der späteren abschlagsfreien Rente mit 63 kommen kann, wenn ihm vielleicht wegen wenigen Monaten die Anspruchsvoraussetzung 45 Beitragsjahre fehlt.
Wenn man jetzt aber eine Sonderregelung für die Fälle schafft, wo das Unternehmen in die Insolvenz gegangen ist, stellt sich sofort die "Gerechtigkeitsfrage", was denn mit den Arbeitnehmern ist, denen mit 61 oder später aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wurde. Die fallen dann nicht unter die Sonderregelung, können aber ebenfalls nichts für ihre Arbeitslosigkeit. Man ahnt an dieser Stelle, ein weites und lukratives Feld für die Juristen tut sich hier auf.

Und zur Gerechtigkeit: Die Gerechtigkeit hat lahme Füße, kann man einem alten deutschen Sprichwort entnehmen.